– Gast-Blogbeitrag von Marianna –
Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn jemand von Yoga spricht?
Ich wette, viele von uns haben sich Yoga lange Zeit als eine Mischung von Körperhaltungen vorgestellt, ähnlich wie Stretching oder Body Workout, ausgeführt von Menschen, die barfuß auf einer Matte in einem hellen Raum stehen und schicke Oberteile und Leggings tragen.
Es ist ziemlich selten, dass wir während unserer wöchentlichen Stunde in einem Yogastudio von den “8 Gliedern des Yoga” hören.
Aus Zeitgründen (und ich wage zu behaupten, aus Marketinggründen) scheint das Hauptaugenmerk in der westlichen Welt nur auf einer dieser Gliedmaßen zu liegen: der körperlichen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, Asana-Yoga ist ein wichtiger Teil und wahrscheinlich ein guter Zugang zu den anderen, aber lassen Sie uns nicht vergessen, dass es nicht die einzige Option ist, aus der Sie wählen können.
Außerdem bin ich der Meinung, dass wir, wenn wir “vergessen”, die anderen Gliedmaßen zu üben, nicht Yoga praktizieren, sondern nur ein Workout machen.
Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen
Ich habe kürzlich eine alte Geschichte gelesen, die mir hilft zu verstehen, wie die 8 Glieder des Yoga zusammenwirken.
“Es war einmal ein Paar, das glücklich in einem Land lebte, das einen ungerechten König hatte.
Der König wurde eifersüchtig auf ihr Glück und sperrte den Mann in einen Gefängnisturm.
Der Mann bat die Frau, einen langen seidenen Faden, einen starken Faden, eine Schnur, ein Seil, einen Käfer und etwas Honig zu holen.
Als sie am nächsten Abend mit all den Sachen zurückkehrte, bat der Mann sie, den seidenen Faden an den Käfer zu binden und Honig auf seine Fühler zu schmieren.
Sie setzte den Käfer mit dem Kopf nach oben auf die Turmwand.
Der Käfer roch den Honig und begann, den Turm hinaufzuklettern, in der Erwartung, mehr davon zu finden, wobei er den seidenen Faden mit sich zog.
Als er die Spitze des Turms erreicht hatte, ergriff der Mann den seidenen Faden und rief seiner Frau zu, dass sie den starken Faden an das andere Ende binden sollte.
Sobald er die Schnur hatte, ging der Rest schnell.
Mit dem Seil, das an der Kordel befestigt war, zog er sie hoch, sicherte ein Ende der Kordel und kletterte hinunter, um in die Freiheit zu entkommen.”
Das Paar sind Yogis.
Das Gefängnis steht für die konditionierte Existenz.
Der seidene Faden symbolisiert die Reinigung des Körpers durch Asana.
Der starke Faden steht für Pranayama, die Erweiterung des Atems, die Schnur symbolisiert die Meditation und das Seil steht für Samadhi, den Zustand des reinen Seins.
Sobald dieses Seil gehalten wird, ist Freiheit von bedingter Existenz möglich.
Wir können zusammenfassend sagen, dass Yoga eine Art Reise oder ein Weg ist, den wir einschlagen, um Freiheit von einer Existenz voller Leiden zu erlangen, die von unserem Geist geschaffen wurde.
Dieser Weg besteht aus 8 Schritten. Wenn wir einen davon auslassen, können wir die Freiheit nicht erreichen.
Die 8 Glieder des Yoga von Patanjali
Eine Theorie stellt das gesamte System der 8 Glieder des Yoga als eine Leiter dar. Wir müssen das erste Glied erklimmen, um zum nächsten zu gelangen.
Dieser Ansatz legt leicht nahe, dass es eine Art von Bedeutung der Glieder gibt, je nachdem, wo sie platziert sind.
Ich ziehe es vor, die Gliedmaßen als die Blütenblätter einer Blume zu erleben, in deren Zentrum das letzte, Samadhi, steht.
Jedes Blütenblatt befindet sich auf der gleichen Ebene wie die anderen und alle zusammen führen zu diesem Zustand der Freiheit.
Die Gliedmaßen sind dazu bestimmt, jeden Tag geübt zu werden, um ein gutes Leben zu führen.
Yamas und Niyamas
Das erste Glied besteht aus einer Reihe von ethischen Grundsätzen.
Das zweite besteht aus Observanzen.
Ich habe in 2 früheren Blogs speziell über diese 2 Gliedmaßen geschrieben.
Folgen Sie den Links, wenn Sie mehr über die Yamas und Niyamas lesen möchten.
Asana Yoga
Das dritte Glied ist Asana.
Laut der Brhad Aranyaka Upanishad ist der Körper, den wir heute haben, nichts anderes als die Ansammlung unserer vergangenen Gedanken, Gefühle und Handlungen.
Asana ist die Methode, die uns von vergangenen Konditionierungen befreit, die im Körper gespeichert sind, um im gegenwärtigen Moment anzukommen.
Seien Sie sich jedoch bewusst, dass eine starke Übung die Identifikation mit dem Körper verstärken kann, wodurch eine neue Schicht von Schmerz und Leiden entsteht.
Die Identifikation mit etwas Unbeständigem (avidya) führt zu mehr Leid und Schmerz.
Selbst wenn wir jeden Tag konstant trainieren, ist unser Körper dazu bestimmt, zu altern und sich zu verändern.
Wenn wir uns mit einem gesunden, jungen, starken und superflexiblen Körper identifizieren, wird das alles eines Tages verschwinden.
Stattdessen wollen wir Asanas üben, weil sie uns dazu dienen, die in ihnen gespeicherte Vergangenheit loszulassen und zu befreien.
Pranayama
Das vierte Glied ist Pranayama.
Prana ist die Lebenskraft, Ayama wird mit Ausdehnung übersetzt.
Pranayama bedeutet die Ausdehnung des Atems.
Die Praxis des Pranayama ist das Studium und die Übung des Atems bis zu einem Punkt, an dem er den Geist nicht mehr aufregt.
Pratyahara
Das fünfte Glied ist Pratyahara, der Rückzug der Sinne.
Im Vinyasa Yoga wird es durch Drishti, den Brennpunkt, praktiziert.
Indem wir den Blick auf vorgeschriebene Orte richten (den Nabel, die Nasenspitze und die Finger), konzentrieren wir uns nach innen und entwickeln das, was in der tantrischen Philosophie als Zentrum (Madhya) bezeichnet wird.
Dharana
Das sechste Glied ist Dharana, Konzentration.
Der Geist hat immer die Tendenz, sich an die Gedanken zu klammern, die auftauchen.
Denn es ist äußerst schwierig, über das Bewusstsein zu meditieren, weil es formlos ist.
Die Praxis der Konzentration ist eine Voraussetzung und Vorbereitung für die eigentliche Meditation.
Wir können damit beginnen, uns auf einfache Objekte zu konzentrieren, um uns auf das vorletzte Objekt vorzubereiten: formloses Bewusstsein, reines Gewahrsein.
Im Vinyasa Yoga wird Dharana geübt, indem man sich auf die Bandhas konzentriert: Mula und Uddiyana Bandha (Becken- und Unterbauchverschlüsse), auf einer äußeren Ebene.
Auf einer inneren Ebene geht es um die Verbindung von Bewegung, Atem und Bewusstsein.
Dhyana
Das siebte Glied ist Dhyana, die Meditation.
Sie haben wahrscheinlich schon tonnenweise Definitionen darüber gelesen, was Meditation ist.
Mir gefällt die von Gregor Maehle formulierte: “Meditation bedeutet, unbeeinflusst zwischen den Extremen des Geistes zu ruhen und plötzlich nur noch zu “sein” statt zu “werden”.”
Bei der Meditation müssen wir uns nicht bemühen, alle Gedanken auszuschließen, die für unser gewähltes Objekt nicht relevant sind.
Typische gewählte Objekte sind der innere Klang, der Atem, der Wahrnehmungsprozess, das Höchste Wesen.
Im Vinyasa Yoga beginnt die Meditation, wenn wir nicht die Praxis machen, sondern gemacht oder bewegt werden.
Samadhi
Das achte Glied, Samadhi, ist von 2 Arten: objektiv und objektlos.
Objektivität tritt ein, wenn der Verstand so weit geklärt ist, dass er keine weitere Simulation der Realität erzeugt.
Der objektlose Samadhi ist die höchste Form des Yoga: Er tritt ein, wenn unsere wahre Natur enthüllt wird.
Dieser endgültige Zustand ist jenseits des Erreichens, jenseits des Tuns, jenseits des Übens.
Es ist ein Zustand des reinen ekstatischen Seins (Kaivalya), ein Zustand, in dem völlige Freiheit und Unabhängigkeit von jeder äußeren Stimulation herrscht.
Wenn Sie sich das nächste Mal vorstellen, was Yoga ist, denken Sie hoffentlich nicht nur an Menschen, die auf einem Bein oder dem Kopf balancieren, sondern an einen unendlichen Zustand von Frieden und Freiheit.
Quellen:
- Ashtanga Yoga – Praxis & Philosophie von Gregor Maehle
Marianna praktiziert seit mehr als acht Jahren Yoga und hat 2020
die 200h Yogalehrer-Ausbildung in Vinyasa bei YogaMoves in Utrecht abgeschlossen.
Ihre Leidenschaft ist es, Yoga mit anderen zu teilen, nachhaltiger zu leben,
und zu reisen.
Hier ist ihre INSTAGRAM-Seite.
